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ZUKUNFTSKONFERENZ: GANZHEITLICHER ENTWURF UND MASSNAHMENPLANUNG

 

Die Zukunftskonferenz in Theorie und Praxis am Beispiel der ersten Zukunftskonferenz der deutschen Modebranche "Forum Fashion Future", 16.-18. November 1997

Cornelia Steilmann, Klaus Steilmann Institut für Innovation und Umwelt,
und Holger Scholz, Prozeßinitiator, PAN TAO



Die Zukunftskonferenz ist eine in den USA entwickelte Dialog- und Mobilisierungsmethode, die das in Deutschland immer noch junge und weitgehend ungenutzte Modell der Lernenden Organisation aus der Theorie in die Praxis führt. Diese Methode hat sich in den U.S.A. unter dem Namen "Future Search" seit mehr als zehn Jahren rasant verbreitet. Im deutschsprachigen Raum ist sie als "Zukunftskonferenz" zunehmend im Einsatz und war im Herbst letzten Jahres Kick-off für Zukunftsprojekte der deutschen Modebranche, der "schönsten Branche", wie sie im Veranstalterjargon genannt wurde.

Der Anlaß, eine Zukunftskonferenz zu initiieren, ist so vielfältig wie die Vorstellungen von der Zukunft selbst. Doch einen gemeinsamen Nenner gibt es immer: den Wunsch, in Unternehmen, Gemeinden, Schulen und anderen Institutionen eine Plattform für künftige Projekte, Strategien und Seinsweisen zu schaffen (Weisbord: "Developing common ground").

Dazu gehört der gemeinsame Blick zurück, in die Mitte und nach vorn. Gemeinsam bedeutet, das "ganze System in einen Raum zu holen" - einer der wichtigsten Wirkmechanismen von Zukunftskonferenzen. Mit diesem ganzen System - zum Beispiel bei der Modebranche der gesamten textilen Kette (von der Vorstufe über die Konfektion, den Handel bis zum Verwender) - werden die Entwicklungen der Vergangenheit, der Gegewart und der Zukunft unter verschiedenen Sichtweisen betrachtet, zusammengefaßt und interpretiert.

Das "System deutsche Modebranche" in einem Raum

Die Teilnehmerliste der ersten Zukunftskonferenz der deutschen Modebranche "Forum Fashion Future" liest sich wie das "Who-is-who" einer ganzen Branche: Neben dem Initiator Fashion Today, Fachmagazin für Herrenmode, nahmen teil: Akzo Sympatex, Eduard Dressler, Deutsches Modeinstitut, DuPont de Nemours, Falke Men´s Fashion, Brigitte Haarke, Fachhochschule Hannover, Hess Natur, Hucke AG, IWS Internationales Wollsiegel Sekretariat, Klaus Steilmann GmbH & Co.KG/Klaus Steilmann Institut für Innovation und Umwelt, Doris Hartwich, Hucke AG, Konen, Lehranstalt des deutschen Textileinzelhandels, März Fashion Group, Messe Frankfurt, Jo Meurer, Scabal, H.C. Prahl Kommunikation, Textil-Wirtschaft, Van Laack und andere.

Die Teilnehmerschaft wurde unterteilt in:
- Handel/Mittelstand/Einkaufsverbände
- Handel/System/Direktvermarkter
- Konfektionäre
- Designer/PMs/Hochschulvertreter
- Vorstufe/Rohstofflieferanten
- Messen/Verbände/Modezentren
- Agenturen/MaFo/Medien/Presse
- Verbraucher/ - vereinigungen
- Externe Impulsgeber (anderer Branchen)

Erlebnisbericht einer Teilnehmerin - Cornelia Steilmann


Die Planungsphase
Bevor es zur eigentlichen Zukunftskonferenz kam, waren mehrere Planungstreffen notwendig. Das Thema mußte eingekreist, die Teilnehmergruppen definiert werden. Was heißt "Deutsche Modebranche"? Wie sieht es mit den Unternehmen aus, die auf dem deutschen Markt aktiv sind, deren Hauptsitz jedoch nicht in Deutschland steht? Wer kennt wen, und wie können wir die Einladung so gestalten, daß sich möglichst alle Wunschteilnehmer zur ersten Zukunftskonferenz einer ganzen Branche in Deutschland anmelden?
Fragen über Fragen. Zu diesem Zeitpunkt konnte sich auch der größte Optimist kaum vorstellen, daß knapp zehn Monate später in einem repräsentativen Branchenmix Wettbewerber und Partner, Experten und Außenstehende, Kunden und Lieferanten zusammenkommen werden, um sich erneut Fragen zu stellen - diesmal allerdings gemeinsam, eben im ganzen System, und als Grundlage für die Erarbeitung zukunftweisender Strategien.

Aber es funktionierte. Das Planungsteam wurde in der Vorbereitung regelmäßig über den Stand der Anmeldungen für die Konferenz informiert. Und allmählich wurde deutlich, daß wir tatsächlich annähernd die gesamte Branche als Mikrokosmos in einen Raum holen würden.

Der Schulterschluß manifestierte sich unter anderem auch in der Finanzierung der Konferenz. Ein Sponsorenpool verschiedener Unternehmen der Branche ermöglichte es, daß die Teilnehmer nur ihre individuellen Reisekosten zu tragen hatten. Unter anderem wurde auf diese Weise sichergestellt, daß die Zukunftskonferenz nicht zu einer Profilierungsveranstaltung eines einzelnen Branchenprimus degenerierte. Es war eine Konferenz der Teilnehmer - und teilnehmen konnte auch, wer keinen hohen Obulus zahen konnte.

Die einzelnen Phasen der Konferenz
Die Teilnehmer einer Zukunftskonferenz, so wurde uns erklärt, durchwandern üblicherweise die Stadien der sogenannten "Vier-Zimmer-Wohnung": Die satte Zufriedenheit zu Beginn der Konferenz sollte bald weichen. Wenn im nächsten Schritt die Gegenwart genau unter die Lupe genommen würde, würden plötzlich Leugnung und Hoffnungslosigkeit überwiegen. Im weiteren Verlauf, so versprachen die Moderatoren, würden sich die Teilnehmer zum Teil überfordert fühlen angesichts der Trends und Tendenzen, die neue Antworten und neues Handeln erforderten. Als Lohn der Strapazen wurde ein Gefühl der Erneuerung in Aussicht gestellt, wenn die Zukunft beschrieben wird.

Meilensteine der Vergangenheit
Eine klassische Konferenz mit Frontalvorträgen, denen man zurückgelehnt zuhören kann oder auch nicht, hatten wir scheinbar nicht vor uns, soviel war sicher. Passives Zuschauen war hier nicht angesagt. Bereits nach einer dreiviertel Stunde befanden sich alle Teilnehmer auf den Beinen, um lange Papierbahnen mit Wegmarken oder Wendepunkten der Vergangenheit zu beschriften, und zwar in Bezug auf die persönliche Vergangenheit, die Vergangenheit des gesellschaftlichen Umfelds und die Vergangenheit der Modebranche.

Ein heilloses Durcheinander entstand binnen Sekunden. Und dennoch konnten wir das kreative Chaos nutzen, um eine Stunde später im gesamten Plenum jeweils drei Zusammenfassungen zur Vergangenheit unserer Branche und dem persönlichen und gesellschaftlichen Umfeld zu präsentieren. Ein erstes Gefühl für das, was in dieser heterogenen Gruppe von gut achtzig Teilnehmern möglich war, stellte sich ein. Schon ging es weiter, und die weiteren Entwicklungen der Modebranche in Raum und Zeit waren Gegenstand der Betrachtung.

Trends der Gegenwart
In der Gegenwart stellten wir uns die Frage, welche Trends Einfluß auf uns bzw. auf die Zukunft der Modebranche haben. Jeder Teilnehmer hatte die Möglichkeit, seine Trends in einem großen Mindmap einzutragen. Nun wurde deutlich, wie komplex die Gegenwart gesehen wurde. Bei achtzig Teilnehmern kamen vermutlich an die zweihundert Trends zustande. Die Trends wurden sortiert, gebündelt und beurteilt. Angesichts dieser Masse an Informationen fühlten wir uns ein wenig erdrückt.

Der erste Konferenztag war zu Ende. Das konzentrierte Arbeitsklima verlangte nach einem entspannenden Abend. Obwohl die Konferenzkultur direkte und quasi informelle Kommunikation fördert, waren Gespräche am Abend und in den Pausen mit Kollegen und Marktpartnern - wie immer - ein wichtiger Aspekt. Eines wurde in vielen Gesprächen immer wieder deutlich: Gewünscht wurde ein kraftvoller Impuls für die gesamte Branche.

Antworten für die Zukunft
Am zweiten Konferenztag wurden wir mit dem Mindmap "Externe Trends" unserer Branche konfrontiert. Da war sie wieder, die Angst, wie wir es schaffen würden, mit all diesen Trends umzugehen. Aber wir waren ja vorbereitet worden auf dieses Gefühl, und doch fühlte es sich nicht gut an.

Prompt wurde mit dem nächsten Thema der Tagesordnung der Finger in die Wunde gelegt: "Welche heutigen und welche künftigen Antworten haben wir auf diese Trends?" In dieser Phase saßen wir in homogenen Gruppen beieinander, das heißt, zum Beispiel alle Konfektionäre an einem Tisch, alle Designer an einem Tisch, alle Händler und so weiter.

Nachdem die Antworten auf die externen Trends bearbeitet und präsentiert worden waren, kamen Anmerkungen aus dem Plenum: Die Lieferantenproduktion führe zu einheitlicher Ware, die Vielfalt ginge zurück, der Kunde als Black Box müsse erschlossen werden, wir wüßten zu wenig vom Kunden, der oft Springer zwischen den Trends oder Preisoptimierer ist. Andere meinten, daß sich zum Beispiel der Handel in seinem Vortrag sehr stark auf den Einkauf konzentriert und folglich zu wenig nachfragt, was der Kunde macht und verlangt.

Jetzt wurden erste Differenzen deutlich. Die verschiedenen Interessens-gruppen verloren sich dennoch nicht in unterschiedlichen Auffassungen. Denn das gemeinsame Ziel stand nach wie vor klar im Raum: eine Zukunft zu entwerfen, die von allen Teilnehmern gemeinsam getragen wurde. Gemeinsamkeiten zu finden erschien wichtiger als Konflikte zu pflegen.

Ein Bild von der Zukunft
Nachdem wir die Phase der Leugnung und des Chaos der "Vier-Zimmer-Wohnung" durchschritten hatten und allmählich ein Hauch von Gemeinschaft spürbar wurde, ging es daran, die Zukunft konkret zu entwerfen. Wir teilten das gesamte Plenum in zehn Gruppen im Branchenmix auf und erarbeiteten jeweils eine achtminütige Präsentation zur Arbeitsweise und den Zuständen der deutschen Modebranche im Jahr 2010.

Die Ergebnisse waren zu großen Teilen fulminant und umsetzungswert zugleich. Ob interaktives und 3-dimensionales TV, die Aufhebung der Saison, der gläserne Verbraucher, der Handel als Kultstätte oder Socken mit eingebautem Deo, das Messegelände als Vergnügungspark, selbstreinigende Kleidung, ein Ministerium für emotionales Wohlbefinden und 365 Kollektionen im Jahr - alles, was denkbar war, war auch machbar.

Und vieles davon ist bereits Realität oder befindet sich heute in vielen Unternehmen dieser Branche in Planung.

Gemeinsame Gedanken - gemeinsame Maßnahmen
Last but not least war die Maßnahmenplanung wichtiger Bestandteil der Konferenz. Nachdem sich das Plenum auf die von allen gemeinsam getragenen Leitgedanken zur Zukunft der Modebranche in Deutschland geeinigt hatte (ungelöste Differenzen gab es auch, aber das durfte auch so sein), sollte direkt an diesem "offiziellen" Konferenzergebnis, den Leitgedanken, gearbeitet werden. Wir nutzten die Open Space-Methode, um möglichst zügig Mini-Workshops zu organisieren. Das gesamte Plenum arbeitete nun an seinen Wunschthemen für ca. drei Stunden. Arbeitskreise entstanden, Kooperationspartner fanden sich, Konzeptionen wurden erstellt. Jede Projektgruppe präsentierte schließlich einen Bericht über Inhalte, Ziele und die weitere Vorgehensweise Ihres Projekts.

Der Arbeitskreis "Intelligente Produkte"

Der Arbeitskreis "Intelligente Produkte" formierte sich in dieser Phase der Zukunftskonferenz. Zielsetzung sollte die Erforschung und Diskussion von zukunftsorientierten Entwicklungen im Bereich Mode sein. Eine bewußte thematische Öffnung in diesem Arbeitskreis ist angestrebt, da sowohl Produkte als auch Prozesse intelligente Lösungen für die Zukunft sein können.

Innerhalb von neun Monaten hat sich der Arbeitskreis darauf konzentriert, mit Studenten eine Präsentation zum Thema "Zukunft der Arbeit - Zukunft der Bekleidung" zu erarbeiten. Dazu wurden Projekte des Klaus Steilmann Instituts, der FH Hannover Fachbereich Design und der beteiligten Mitglieder des Arbeitskreises - IWS, Akzo Nobel (Sympatex) und Du Pont, Tactel - fruchtbar miteinander kombiniert.

Am Klaus Steilmann Institut für Innovation und Umwelt (KSI) wurde bereits seit längerer Zeit an "intelligenten Produkten" gearbeitet, doch die richtigen Partner und die tatsächlich energetisierende Dynamik für den Arbeitskreis holten wir uns auf der Konferenz. Über die Verbindung mit den Faserherstellern ergaben sich Kooperationen in unterschiedlichen Forschungsansätzen, die für eine interdisziplinäre Projektarbeit notwendig waren. In wissenschaftlicher Hinsicht konnten wir Frau Prof. Dorothea Mink des Fachbereichs Design an der Fachhochschule Hannover gewinnen. Das Projektmanagement lag als Geschäftsführerin des KSI in meinen Händen.

Veränderte Arbeitswelten - Veränderte Anforderungen an Bekleidung
Der Arbeitskreis "Intelligente Produkte" war und ist eine "Denkfabrik" im besten Sinne des Wortes. Träumen Sie manchmal von einem in die Haut eingewebten Weck-Netz, das dem lästigen Klingeln am Morgen ein Ende setzt? Studenten entwickelten in einem Kooperationsprojekt zwischen dem KSI und der Fachhochschule Hannover visionäre Denkansätze zur Gesellschaft und Arbeitswelt der Zukunft. Daraus entstanden innovative Kollektionen, die am 4. Juli 1998 in Form einer experimentellen Performance präsentiert wurden.

Da Bekleidung zukünftig nicht nur anziehen, sondern auch bestimmte Funktionen erfüllen sollte, haben die Studenten Eckdaten im Bereich Wareneinsatz, Design und Optik aufgestellt. Das kann vom integrierten Strahlenschutz gegen Elektrosmog für Stewardessen bis hin zum absolut schmutz-, flecken- und geruchsabweisenden Outfit für Restaurantangestellte reichen. Den angehenden Textil-Designern waren im Rahmen der Projektarbeit keine Schranken gesetzt, visionär und impulsgebend zu arbeiten.

Die Ergebnisse sind verblüffend: Zum Beispiel Materialien, die Vitamine an die Haut abgeben, oder eine fiktive Hi-Tech-Haut namens "Dermelon", die organisch Pflegesubstanzen produzieren kann. Die Stoffe der Zukunft - davon sind wir überzeugt - werden weit mehr Funktionen erfüllen und gegebenen Bedingungen gerecht werden müsssen als es heute der Fall ist. Kriterium dabei ist nicht das technisch Machbare, sondern das, was die Verbraucher brauchen und wünschen.

Das Innovationsprogramm der Steilmann-Gruppe unterstützt maßgeblich dieses Projekt, um die Entwicklung intelligenter Produkte zu fördern und damit letztlich die Lebensqualität des Menschen zu steigern. Das KSI hat sich unter anderem die Aufgabe gesetzt, durch prozeß- und produktbezogene Projekte das Thema Bekleidung aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Das Spektrum reicht von innovativen Entwicklungen bis hin zur Ausarbeitung visionärer Zukunftsvorstellungen und deren Einflußnahme in der Bekleidungsindustrie. Die Zukunftskonferenz hat sich als geeignetes Modell partizipativer Strategie- und Projektentwicklung bewährt.


Statements der Teilnehmer der ersten Zukunftskonferenz der deutschen Modebranche "Forum Fashion Future", 16.-18. November 1997
- "Riesen Synergieeffekt, sehr kreative Gedanken von unterschiedlichen Leuten."
- "Ich gehe reicher nach Hause, wir müssen in der Branche miteinander reden."
- "Erstaunlich war die sehr enge und kooperative Zusammenarbeit dieser heterogenen Gruppe, so konnte Konsens hergestellt werden."
- "Die Teilnehmer hatten alle sehr unterschiedliche Blickwinkel, was für die Konferenz positiv war."
- "Hier wurde visionär gearbeit, nicht problemorientiert."
- "Die Veranstaltung hat meinen Horizont erweitert, weitere Aktivitäten in dieser Richtung sind wünschenswert."
- "Mir hat die Konferenz gezeigt, was Gruppendynamik bringen kann, ich freue mich auf die nächste Zukunftskonferenz."
- "Der Mut zur Zukunft war vorhanden."
- "Ich bin mit viel Skepsis in diese Veranstaltung gegangen; es kam sehr viel Konkretes heraus; dieses sollte jetzt umgesetzt werden."
- "Ich kannte die Branche bislang nur in Ausschnitten, hierdurch habe ich einen besseren Einblick in die Zusammenhänge bekommen."
- "Ich freue mich auf die Projektarbeit."
- "Die Qualität der Diskussionen und der Zusammenarbeit war sehr hoch, sehr viel Kreativität."
- "Es war so viel positive Energie in diesem Raum; so können wir etwas erreichen."
- "Wir sind sehr auf die Zukunft sensibilisiert worden."